18. Januar 2022

Hungertreppe rauf zum Fresswürfel - Buna-Lager (DDR-Ferienlager)

Blogpost-UPDATE: 20. Januar 2022


Sommerferien in der DDR: das war für die Kinder Ferienlager-Zeit! Auch über 30 Jahre nach der Wende sind noch Reste solcher Ferienlager zu finden. So zum Beispiel in Friedrichsbrunn bei Thale im Harz.

Friedrichsbrunn ist heute ein Ortsteil der Stadt Thale und liegt im Naturpark Harz in Sachsen-Anhalt. Bis 2009 war Friedrichsbrunn eigenständig, dann erfolgt die Eingemeindung nach Thale. Der Ort liegt auf einer Höhe von ca. 524 Metern und ist seit 2010 staatlich anerkannter Luftkurort. Auch früher schon war Friedrichsbrunn als Erholungsort sehr beliebt. Die touristische Entwicklung begann bereits 1884. Allerdings brach mit der Wende 1990 der Massentourismus komplett ein.

Dieses touristisch erschlossene Idyll wurde in der DDR auch für ein Zentrales Pionierlager genutzt. Es war auch das Betriebsferienlager der VEB Chemische Werke Buna in Schkopau (damaliger Slogan zu diesem Betrieb: "Plaste und Elaste aus Schkopau"). Auf Grund des Trägerbetriebes wurde das Ferienlager auch kurz Buna-Lager genannt. Der korrekte Name war Zentrales Pionierlager "Erich Weinert".

Nach meinem Besuch bei den Überresten dieses Lagers wollte ich mehr zu diesem ehemaligen Ferienobjekt der DDR herausfinden. Aber das war gar nicht so einfach. Allein den ehemaligen Namen zu finden, gestaltete sich schwierig. Nach und nach bekam ich aber ein paar Infos zusammen. Hauptsächlich von diversen privaten Internetseiten und sozialen Medien sowie Wikipedia. Auch in Zeitungen gab es die ein oder andere Veröffentlichung (z. B. Mitteldeutsche Zeitung, Volksstimme).

Seinen Ursprung hat das Lager bereits 1949 als Pionierlager  "Martin Andersen Nexö". Die Buna-Werke übernahmen es 1953 und führten es fortan als eines von 48 Zentralen Pionierlagern fort. Anfangs standen auch noch keine festen Behausungen, sondern man zeltete.

Pro Durchgang wurden zuletzt ca. 800 Kinder betreut. Es gehörte auch zu den Ferienlagern, wo Thälmannpioniere und FDJler ihre Ferien verbringen durften. Auch waren Kinder aus dem Ausland hier zu Gast - so z. B. aus der CSSR, aus Polen, der Sowjetunion und sogar aus Westdeutschland (über ein Ferienprogramm der KPD).

Wirtschaftlich getragen wurde so ein Zentrales Pionierlage von einem Betrieb, in diesem Fall vom VEB Chemische Werke Buna in Schkopau. Geleitet wurde so ein Lager von einem Funktionär der FDJ-Bezirksleitung. Betreuer waren oft Lehrer und Studenten.

Von den Bungalows, in denen die Kinder wohnten, ist heute so gut wie nichts mehr übrig. Sie sollten bereits 2012 abgerissen werden. Aber die Eigentumsverhältnisse und die Tatsache, dass hier Asbest verbaut ist, haben einen Abriss wohl bis heute verhindert. Diese Bungalows befinden sich im tiefer gelegenen Teil des Areals. Sie verfügten nicht über Toiletten und Duschen. Dafür gab es einen separaten Sanitär-Trakt. Insgesamt hatte das Lager 43 Bungalows und 7 Bettenhäuser. 2 neuere Bettenhäuser hatten wohl sogar erst im Jahr 1990 ihren Erstbezug.

Die Mahlzeiten wurden in einer zentralen Speisenversorgung eingenommen. Dieses Gebäude mit einer riesigen Küche befand sich im oberen Teil auf dem Gelände. Es handelt sich hierbei um ein unterkellertes eingeschossiges Gebäude, welches eine quadratische Form hat. Aus diesem Grund wurde das Gebäude auch "Fresswürfel" genannt.

Ein Sozialgebäude und die Großküche wurden lt. meinen Recherchen erst wenige Jahre vor der Wende fertiggestellt.






Das Gebäude der Speisenversorgung ist heute eine Ruine. Wo Kinder früher fröhlich zu Mittag aßen und sicherlich reges Treiben herrschte, tropft heute nur noch das Wasser durch die marode Decke. Im riesigen Speisesaal-Bereich hängen noch die roten Gardinen und wehen zum zerborstenen Fenster hinaus.




Zentraler Bereich des Gebäudes war eine riesige Küchenlandschaft. Hier sind geflieste halbhohe Trennwände vorzufinden und noch das ein oder andere Teil des Großkücheninventars. Und eine einsame Kaffeetasse begegnete mir auch.







Im Gebäude der zentrale Essensversorgung gab es auch noch kleinere Nebenräume. Was dort mal vorzufinden war, entzieht sich meiner Kenntnis.



 



Zu den Mahlzeiten mussten die Kinder von den Wohnbungalows im Tal den Berg raufgehen. Und dies geschah über die sogenannte "Hungertreppe" mit ca. 110 Stufen. Gespeist wurde dann in zwei Durchgängen zu je 400 Kindern.

Weiterhin finden sich auf dem Gelände noch andere Gebäude, u. a. ein Heizhaus mit einem ziemlich hohen Schornstein. Man war wohl damals was Energie angeht, Selbstversorger. Warmes Wasser gab es nach Plan und Gruppe zeitlich eingeteilt. Wer mit dem Heizer gut konnte, bekam wohl auch mal außer der Reihe Warmwasser.


Heizhaus



Ebenfalls im oberen Bereich des Areals findet man noch große Garagen und ein langes Gebäude, welches 5 Reihenhäuser über je 3 Etagen beherbergt. Ob diese Reihenhäuser DDR-Bauten sind oder kurz nach der Wende entstanden, kann ich nicht sagen. Herausfinden konnte ich jedoch, dass die Häuser im August 2011 noch bewohnt waren - vielleicht sogar noch länger.

Garagen

Reihenhäuser

Im Inneren der Reihenhäuser sieht man deutlich, dass sie einen westlichen Standard der 90er Jahre haben. Aber ob dieser nachsaniert ist oder vom Bau her vorhanden, lässt sich wirklich nicht sagen. Die Innentüren machen einen sehr ostzonalen Eindruck - zumindest die Bauart und das Glasmuster. Auch die Lichtschalter wirken wie DDR. Und es gibt eine Durchreiche zwischen Küche und Wohnzimmer - auch in der DDR üblich und nach der Wende vermutlich wohl nicht mehr so gebräuchlich bei Neubauten. Auf jeden Fall scheint es so, dass dieses Gebäude noch nach der Wende genutzt und erst später aufgegeben wurde.


 




 





 



In zwei Immobilienkatalogen war online zu finden, dass das gesamte Areal mit einer Fläche von ca. 98.706 Quadratmetern und ca. 1.200 Quadratmetern Nutzfläche (Reihenhäuser und Gastrogebäude) bereits zwei Mal zur Versteigerung stand - nämlich 2014 für Mindestgebot 89 T€ und 2020 für Mindestgebot 109 T€. Auch ein inaktives Immobilienangebot hab ich gefunden - ebenfalls mit Gebäudebaujahr: unbekannt.

Die Buna-Werke gingen nach der Wende an die Treuhand und konnten somit dieses Lager nicht mehr finanziell stützen. Und ohne den Zuschuss des Trägerbetriebes hätten Eltern um die 300 Euro für ein Kind pro zwei Wochen Ferienbetreuung zahlen müssen - da brach die Nachfrage wohl weg.

Bereits zwei Tage nach Veröffentlichung dieses Blogposts habe ich neue Infos bekommen - teils in sozialen Netzwerken und auf Anfrage sogar von der Stadt Thale. Ich werde den Blogpost ab und zu updaten. Wenn ihr das Buna-Lager kanntet und ne interessante Info habt, könnt ihr  auch gern einen Kommentar unten hinterlassen.




17 Kommentare:

  1. Die Küche hatte wie überall auch Lager- und Umkleideräume.
    Die Reihenhäuser waren bis vor etwa 6 oder 7 Jahren noch bewohnt.

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  2. Toller Blog & spannend, was Du herausgefunden hast. Kann leider nix Hilfreiches beitragen...Viel Erfolg bei der weiteren Recherche!

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  3. Heike Schweigert19. Januar 2022 um 21:19

    Das schöne Buna-Lager... Habe dort in den Sommerferien "gearbeitet". Unten im Postkiosk und in der "Kalt Küche" ein Gebäude, was an der Hunger Treppe stand, gegenüber des Fresswürfels. Mitte der 80er Jahre durften sogar Kinder aus dem Westen ihre Ferien dort verbringen. Hauptsächlich "einkommensschwache" aus dem Ruhrpott, die ersten 2 Wochen der Ferien mit ungarischen, tschechischen und sowjetischen Kindern. Danach waren erst die DDR-Kinder dran. Und wenn diese Ausgang hatten, gab's in der Kaufhalle "nichts" mehr, wenn man Pech hatte, stand man nach einem Einkaufswagen/-Korb 'ne Stunde an... Und im damaligen Waldbad gab' s kein Fleckchen mehr, wo man als ortsansässiger eine Decke hätte ausbreiten können.
    Und ganz neidisch war ich auf meine damalige Schulfreundin, die in diesem Reihenhaus wohnte, weil ihre Eltern im Buna-Lager gearbeitet haben. Ich denke die Häuserreihe ist erst Anfang 1980 entstanden. Aber ausgestattet wie im Westen. Die Zimmer hatten Parkettboden, die Treppen richtige Holzstufen, das Bad auf's feinste... (echter Neid damals).
    Schade, dass es jetzt so aussieht und sich keiner gefunden hat, dort was draus zu machen.

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    1. Es stimmt nicht ganz, dass die DDR Kinder erst nach den Ausländern zu den Ferien kamen. Ich war 3 mal zwischen 1978 und 1983 als Betreuerin jeweils 4 Wochen in dem Ferienlager. Es gab immer Delegationen von Polen, Tschechien, Sowjetunion und auch der Bundesrepublik. Wir haben tolle Freundschaften geschlossen. Es gab keine isolierungen der einzelnen Gruppen. Sehr schade, dass auch dieses Idyll zu nichte gemacht wurde.

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    2. Ich war auch mehrmals in Friedrichsbrunn.Bei uns sind die Westdeutschen Kinder durch das Lager gelaufen und haben ihr Geld mit Westlutschern gemacht.

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  4. Das schöne Buna-Lager! Habe dort mehrfach in den Ferien gearbeitet - im Postkiosk und der "Kalt-Küche" ein Gebäude an der Hungertreppe, gegenüber vom Fresswürfel.
    Die ersten 2 Ferienwoche waren den Kindern aus dem Westen vorbehalten (einkommensschwache aus'm Ruhrgebiet) dann aber auch nur mit Kindern aus Ungarn, CSSR und Sowjetunion. Dann kamen die DDR Kinder dran. Und wenn diese "Ausgang" hatten, gab's in der Kaufhalle nichts mehr. Und im damaligen Waldbad hatten ortsansässige schlechte Karten - es gab keinen Platz mehr...

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  5. Es ist sehr interessant aber auch sehr Schade

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  6. Ich war als Kind 3 mal in dem Ferienlager,es war immer wieder schön. Wandertag zum Hexentanzplatz, Sportfest und vieles mehr. Schade das es so verwildert ist. Vielen Dank für die schöne Reportage über das Ferienlager

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  7. Das Objekt wurde für ca. 189.000 € versteigert. Waren selbst vorher noch vor Ort.

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    1. Danke für die Info... An wen es gegangen ist, weißt Du nicht?

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  8. Immer wenn wir auf Tour gehen wird vorher recherchiert zum Ort. Und immerwieder wird uns Hugolienchen vorgeschlagen 😁😁😁. Können wir nur empfehlen. Auch den Kanal. Super Artikel und tolle Bilder

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  9. Ich wohne im Dorf ich war schon sehr oft da ich bin 13 und kenne eine Person du da früher gearbeitet hat er hat mir alles erzählt er hat noch bilder von früher

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    1. Geschriebenenen habt ihr viel aber schlecht recherchiert. Bei den noch lebenden Mitarbeitern hat sich keiner von euch mal erkundigt. Man sollte schon wenn man was veröffentlicht bei geschitlichen Fakten bleiben. LG. Der Küchenleiter der den Betrieb 18 Jahre bis zum Ende geführt hat.Es leben auch noch vor Ort die Buchhalterin, der Kraftfahrer, die Köchin und Handwerker. Diese Leute hätte man befragen sollen.

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    2. Ich hatte sogar bei offizieller Stelle angefragt, aber leider keine Kontakte oder Infos erhalten. Wenn Du magst, schreib mich doch mal per Mail an: hugolienchen@gmx.de ... Ich würde natürlich gern mehr erfahren und den Blog dann updaten.

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  10. Ich war als Kind auch da fand es sehr schön dort. Gestern den 10.4.23 war ich mal vor Ort und war schockiert was daraus geworden ist 😭

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  11. Sehr schöner Beitrag, leider sehr verfallen und kaputt alles, bin im Oktober 23 dort gewesen. Hat den Flair damit verloren. Erstaunlich fand ich die Menge an Technik in den "Nachrichten" Räumen im Keller. Welche Art von Nachrichten kann sich jeder selbst denken...

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